Gewaltsame Freundlichkeit - der stille Killer wertschätzender Kommunikation 

Im Change Management sind wir bestrebt Stärken zu stärken und eine Atmosphäre zu schaffen, in denen Mitarbeiter keine Angst haben Fehler zu machen, um das Neue auszuprobieren. Dies lässt auf den ersten Blick den Anschein erwecken, dass es bei Veränderungen nur darum geht, positive Gefühle zu erzeugen und darauf bedacht zu sein, dass sich die Mitarbeiter wohl fühlen.

Dies ist ein gefährlicher Trugschluss! In Veränderungsprozessen ist es auch entscheidend, Probleme und Tabus innerhalb der Organisation klar zu benennen und unterschwellige Konflikte, die das Projekt beeinträchtigen, offen auszutragen. Dennoch gibt es in vielen Organisationen verdeckte Tabus, die das Veränderungsvorhaben behindern – der sogenannte Elefant im Raum. Ein Phänomen, das die Bearbeitung solcher Tabus erschwert, ist die „gewaltsamen Freundlichkeit“.

Den Elefanten im Raum vergrößern durch gewaltsame Freundlichkeit


Der Begriff der „gewaltsamen Freundlichkeit“ (engl. Violent Politeness) geht zurück auf den Professor für Organisationsverhalten an der ISAD Business School Gianpiero Petriglieri, der sich in seinem Blogartikel aus dem Jahr 2014 Why Work is lonely mit diesem Organisationsverhalten intensiv auseinandersetzt.

Er beschreibt das Phänomen der gewaltsamen Freundlichkeit als Verhalten in Organisationen, bei den Menschen ihre „wahre“ Meinung zu einem Sachverhalt verbergen und ihre Bedenken nicht offen aussprechen. Man möchte mit seiner Meinung niemanden verärgern oder vor den Kopf stoßen. Allerdings boykottiert dieses Verhalten die Zusammenarbeit, die Problemlösung und Entscheidungsfindung in Organisationen und führt am Ende dazu, dass sich Organisationen nicht weiterentwickeln. In ihrem Buch The Leading Brain sprechen Friederike Fabritius und Hans W. Hagemann welche Probleme gewaltsame Freundlichkeit aus neurowissenschaftlicher Sicht für Organisationen mit sich bringen. „Die Abneigung gegen Ehrlichkeit wird zu einem stabilen neuronalen Pfad, das Zögern zur Gewohnheit. Anstatt unsere Zunge bewusst im Zaum zu halten, tun wir es schließlich unbewusst. Und auf den höheren Hierarchieebenen breitet sich die gewalttätige Höflichkeit zusehends aus (Fabritius & Hagemann, 2021, S. 269).“

Aber was hindert uns daran, unangenehme Themen offen anzusprechen? Wenn wir auf unsere Erziehung zurückblicken, wurde uns meistens beigebracht nett zu sein und Kritik oder negative Emotionen, wie Wut nicht offen auszusprechen. Dies wird auch in vielen Feedback-Seminaren betont, in denen die sogenannte „Sandwich“-Methodik angewendet wird. Die Kernbotschaft dieser Technik lautet: Verpacke Kritik in eine „nette Botschaft“. Doch hat dieses Vorgehen wirklich etwas mit wertschätzender Aufrichtigkeit zu tun?

Was genau macht ein wertschätzendes und zugleich wirksames Feedback aus? 

Radical Condor - Ein Kommunikationsrahmen für aufrichtiges Lob und klare Kritik

In dem Feedback Modell Radical Condor der CEO Coachin Kim Scott taucht der Begriff der „schädlichen Empathie“ (engl. ruinous empathy) auf, der viele Parallelen zur gewaltsamen Freundlichkeit aufzeigt. Es handelt sich um eine schädliche Form des Feedbacks, bei der Lob unspezifisch und wenig hilfreich bleibt oder Kritik beschönigt und unklar formuliert wird. Im Rahmen der beiden Dimensionen „Aufrichtigkeit“ und „Wertschätzung“ zeigt schädliche Empathie hohe Werte bei der Wertschätzung (liegt mir die Person am Herzen?), jedoch einen Mangel an Aufrichtigkeit (bin ich vollkommen ehrlich?). Solch ein Kommunikationsverhalten kann zu einer Kultur des Schweigens führen, in denen Menschen ihre wahren Gedanken und Gefühle zurückhalten.

Andere Formen des schädlichen Feedbacks, wie aggressive Offenheit (engl. obnoxious aggression) und manipulative Unaufrichtigkeit (engl. manipulative insincerity), führen entweder zu einer aggressiven Kultur, in der rücksichtslos die eigene Meinung geäußert wird, oder zu einer Kultur der Lästerei, die den Arbeitsplatz toxisch macht.

Der gewaltsamen Freundlichkeit mit wertschätzender Offenheit entgegenwirken

Die erstrebenswerte Form der Kommunikation ist demzufolge die wertschätzende Offenheit (engl. Radical Condor), in denen wir freundlich, klar, spezifisch und trotzdem aufrichtig unsere Meinung und Gedanken mitteilen. Wenn uns diese Art der Kommunikation gelingt, schaffen wir zugleich höchstmögliche Wertschätzung in Verbindung mit höchstmöglicher Aufrichtigkeit. Eine Methodik, die uns hilft, freundlich aber zugleich aufrichtig unsere Meinung mitzuteilen, ist die 3-W Feedback-Methode, die wir auch in unseren Seminaren vorstellen. Einen Handzettel zu dieser Methodik können Sie hier aufrufen.

Bildquelle: DLSN


W=Wahrnehmung: Ich thematisiere mit meiner Meinung nicht die Persönlichkeit, sondern meine Wahrnehmung zum Verhalten meines Gegenübers. Bsp. „Ich habe wahrgenommen, dass du in den letzten zwei Wochen oft zu unseren Meetings zu spät gekommen bist.“

Auch Lob sollte anhand einer konkreten Beobachtung formuliert sein, denn allgemeines Lob oder allgemeine Floskeln wie „das hast du gut gemacht“ hilft meinem Gegenüber nicht, seine Stärken weiter auszubauen.

W=Wirkung: Ich formuliere ganz deutlich, was das Verhalten meines Gegenübers bei mir ausgelöst hat. Wichtig dabei ist bei sich zu bleiben und seine persönliche Interpretation des Verhaltens darzustellen. Bsp. „Das wirkt auf mich so, als würdest du meine Arbeitszeit und die der anderen nicht wertschätzen.“ Denn schließlich kann man sich mit seiner Deutung auch irren.

W=Wunsch: Es geht darum konkret zu benennen, welches Verhalten man sich zukünftig wünscht. Bsp.: „Ich bitte dich darum zukünftig darauf zu achten, pünktlich zu unseren Meetings zu erscheinen.“ Ziel ist es eine verbindliche Vereinbarung zu treffen, beziehungsweise eine konkrete Handlungsaufforderung zu formulieren. 

Diese Form der Kommunikation erfordert allerdings hartes Training an sich selbst, die eigene Gewohnheit des „Versteckens“ zu durchbrechen und den Mut die eigene Arbeit ernst zu nehmen und sein eigenes Ego weniger ernst.  Kurzfristig könnte diese Aufrichtigkeit zwar eine negative Reaktion des Gegenübers nach sich ziehen. Langfristig stärken wir damit aber unsere Beziehungen zu anderen, die Zusammenarbeit und die Weiterentwicklung der Organisation. Im Sinne der Stärkung unserer zwischenmenschlichen Beziehung findet Gianpiero Petriglieri die richtigen Schlussworte.

„Wir vergessen immer wieder, dass unsere engsten Beziehungen nicht diejenigen sind, in denen Spannungen beschönigt werden, sondern diejenigen, in denen sie mit ausreichender Sicherheit angesprochen und verarbeitet werden können (Petriglieri, 2014, https://hbr.org/2014/03/why-work-is-lonely, abgerufen am 31.07.2024).“